Deutschland Anfang der 30er Jahre: Die 18jährige Doris möchte ein aufregendes Leben haben, sie möchte "ein Glanz" sein! Da passt ihre solide Stelle als Stenotypistin nicht so recht dazu, zumal ihr Chef aufdringlich wird. Der Statistenjob am Theater ist da schon besser, aber auch hier will Doris weiterkommen und denkt sich Geschichten aus, um mehr zu scheinen als sie ist. Als das auffliegt und sie außerdem in einem Augenblick der Schwäche einen Pelzmantel aus der Garderobe mitnimmt, flieht sie kurzerhand nach Berlin. Dort verstrickt sie sich in ein beständiges Auf und Ab verschiedener Männerbekanntschaften und erlebt alles - von Luxus bis zur Obdachlosigkeit. Ihre Beziehungen sind allesamt nicht zukunftsträchtig, sie träumt von Selbstbestimmung und Glück, die ihr ihre Bekanntschaften nicht bieten können. Sie schafft es nicht, sich ein eigenes Einkommen zu schaffen, ihr eigener Anspruch und Wunschträume stehen dem im Weg.
Doris' inneren Monolog lesen wir in Form ihrer Tagebucheinträge. Ihre Schilderungen sind geprägt von ihrer subjektiven Wahrnehmung ihrer Umwelt, manchmal naiv-staunend, begeistert und dann auch wieder desillusioniert-kritisch. Das Berlin der 30er Jahre wird von seiner glamorösen Seite in den Cafés und Clubs und auf den Flaniermeilen geschildert, im weiteren Verlauf nimmt Doris aber auch den Verfall und das Elend wahr, die sich in den vielen Arbeitslosen und Prostituierten auf den Straßen spiegelt.Ihre Sprache ist phantasievoll und humorvoll, es macht Spaß, ihr zuzuhören, wenngleich im Verlauf des Romans ein bitterer Beigeschmack hinzukommt, wenn immer deutlicher wird, dass sich ihre Träume nicht erfüllen werden. Politisch ist Irmgard Keuns Roman nicht, zwar tauchen Hinweise auf Antisemitismus auf, Doris nimmt dies wahr, aber denkt nicht weiter darüber nach, zu sehr ist sie mit sich selbst beschäftigt. Diese absolute und zum Teil schonungslose Innensicht und Ich-Bezogenheit der Protagonistin in einer Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche, in denen Frauen zwar schon andere Lebensentwürfe haben, aber beruflich-materielle Unabhängigkeit noch schwer ohne Mann zu erreichen ist, machen Das kunstseidene Mädchen zu einer interessanten Lektüre.
Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen. Brigitte Hörbuch Edition 2007.
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