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Jens Wawrczeck und Gert Heidenreich. Das ist lang. Das ist sehr lang. 519 Buchseiten wären das, die ich nie im Leben durchgestanden hätte.
Doch zuerst zum Inhalt, ausnahmsweise in Form des Info-/Klappentextes, wie er auf
goodreads zu lesen ist:
"Mönche und Freimaurer,
Verschwörer, Fälscher und Verräter walten im Paris des 19. Jahrhunderts.
Ein Abt stirbt zweimal, ein paar unbekannte Tote treiben im Pariser
Abwasserkanal, und am Ende tauchen die gefälschten „Protokolle der
Weisen von Zion“ auf, die eine Weltverschwörung des Judentums belegen
sollen. Mit einem Attentat auf die Pariser Métro wollen die Verschwörer
die Bevölkerung aufrütteln. Mitreißend und spannend erzählt Umberto Eco,
der Meister des historischen Romans, von Antisemitismus und
Geheimbünden und von einer Vergangenheit, in der wir unsere Gegenwart
wiedererkennen können."
Die Erzählperspektiven:
Zunächst ist da der Italiener Simon Simonini, der in einer Pariser Wohnung
ohne Erinnerung an die vergangenen Tage erwacht. Er beginnt Tagebuch zu
schreiben, um sich wieder an sein Leben zu erinnern. Doch ein anderer kommentiert seine Einträge und stellt klar, dass Simonini ein Fälscher von Dokumenten aller Art, ein Agent und Antisemit höchsten Grades und sogar ein Mörder ist.
Hinzu kommt ein allwissender und ebenfalls kommentierender Erzähler, der einen sachlicheren Ton anschlägt und die Geschehnisse in ein Gesamtbild einzuordnen versucht.
Vor lauter Antisemitismus, Jesuiten, Freimaurern, Logen, Spionen und erlogenen, kopierten und verfälschten Dokumenten schwimmt einem bei Ecos
Der Friedhof in Prag bereits nach kurzer Zeit der Kopf. Dabei reiht sich eine historische Verschwörung an die nächste, folgen Beschreibungen von Kochrezepten auf Zusammensetzungen von Sprengstoffen, Charaktere werden eingeführt, für eine Verschwörung oder als Auftraggeber verwendet, dann verschwinden sie wieder, um vielleicht - oder auch nicht - an späterer Stelle wieder aufzutauchen, das alles aber wahllos (oder zu komplex, um es zu begreifen) aneinandergereiht.
Ich fand keinen roten Faden, keinen Protagonisten, dem ich mich anschließen konnte, keine einzige sympathische Figur, keinen guten Charakter, nur Geld- und Machtgeilheit, blinden Hass und intrigantes und religionsverachtendes Geschwafel. Besonders das antisemitische Gedankengut, dass Simonini in seinem Tagebuch absondert, war schwer, extrem schwer, zu ertragen.
Klar kann man - wie im Klappentext erwähnt - in dieser Verworfenheit auch die heutige Zeit erkennen: Spioniert, gelogen und betrogen wird im großen Stil durch alle Zeiten hindurch und dabei gilt keine Moral und kein Gesetz. Von "mitreißend und spannend" kann leider keine Rede sein, da der Plot sich im Kleinen verliert, von einer historischen Anekdote zur nächsten springt, keinen Spannungsbogen hat und keine Identifikationsfiguren bietet, die doch vielleicht nötig sind, um den Leser mitzunehmen auf die historische Reise. Das einzig Beeindruckende ist vielleicht die Menge an historischen Details und Ecos große Kenntnis von den ideologischen Wirren Frankreichs im 19. Jahrhundert.
Umberto Eco, Der Friedhof in Prag. HörVerlag 2011.