Daniel Kehlmanns Roman Tyll spielt in der Zeit des 30jährigen Krieges (1618-1648) und schildert verschiedene Geschehnisse um (bekannte) Persönlichkeiten dieser Zeit, darunter verschiedene Wissenschaftler, Autoren, aber auch der "Winterkönig" Friedrich V. und dessen Frau Elizabeth Stuart. Verbindendes Element der einzelnen Kapitel, die nicht chronologisch erzählt werden, ist die Figur des Narren Tyll, die Kehlmann offenkundig an Till Eulenspiegel anlehnt. Geboren als Sohn des später als Ketzer hingerichten Claus Ulenspiegel, reist Tyll mal als Schausteller durch das Land, mal ist er Hofnarr und auch in den Krieg wird er hineingezogen. Immer wenn die Situation bedrohlich wird, zieht er weiter.
Die Schilderung der historischen Figuren und Ereignisse entspricht im groben Abriss den wahren Geschehnissen, aber es geht dem Autor vielmehr um das subjektive Erleben der Figuren. Die Grenzen zwischen historischer Erzählung und der rein fiktionalen und oft fantasievollen Schelmendichtung sind immer fließend. So ergeht es auch den Charakteren selbst, die in Momenten der Bedrängnis in ihren Erinnerungswelten entschwinden und nicht mehr unterscheiden können, was Traum und was Wirklichkeit ist. Außerdem wird an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, dass die Wissenschaftler und Autoren jener Zeit oft Erfundenes als Bewiesenes ausgaben, hemmungslos bei anderen abkupferten und das Geschriebene als absolut unzuverlässig gelten muss.
Die Figur des Tyll selbst ist kein Sympathieträger, er ist clever, durchaus humorvoll natürlich, er gibt nie auf, aber er ist a. Vielleicht muss er dies auch, bedenkt man, in welche Zeit Kehlmann seinen Narren versetzt hat. Tyll beinhaltet auch die intensive Schilderung der kruden Lebensbedingungen für die einfachen Leute und natürlich auch die Brutalität der Kriegshandlungen. Zwar reflektiert einer der Erzähler, der dicke Graf, darüber, dass das Schlachtengeschehen derart schrecklich sei, dass niemand Worte dafür finden kann und will, und auch er als Autor entschließt sich, dafür die Schilderungen eines anderen zu verwenden, aber das Entsetzen wird dennoch offenkundig. Im Gegensatz dazu stehen die teils naiven, teils eitlen Beweggründe, die die Herschenden der Zeit antreiben, den Krieg fortzuführen, dargestellt durch die emotional-menschliche Sichtweise von Friedrich und Elizabeth.
uch stets auf seinen Vorteil, sein eigenes Überleben, bedacht und setzt dafür alle ihm gegebenen Mittel ein
Die nicht chronologische Erzählweise ermöglicht zahlreiche Querverweise, inhaltlich und metaphorisch, die zeigen, wie spielerisch und geschickt Kehlmann seinen Roman konstruiiert hat. Tyll ist kein einfaches, kein schönes Buch, aber durchaus lesenswert.
Daniel Kehlmann, Tyll. Argon 2017.
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