Mit Deutsches Haus hat Annette Haus ein Buch mit einer besonderen Perspektive geschrieben. Durch die Augen von Eva Bruhns erleben wir den ersten Auschwitz-Prozess der Jahre 1963-1965. Sie wird als Dolmetscherin engagiert, um die polnischen Zeugenaussagen zu übersetzen. Beeindruckend zeichnet die Autorin das Bild Deutschlands zu dieser Zeit - die Ablehnung der Vergangenheitsbewältigung, die Angst vor der Entdeckung der eigenen Mitwirkung an Verbrechen, die man gern verdrängen möchte, und nicht zuletzt auch der aufkommende Fremdenhass gegenüber den hinzuziehenden Gastarbeitern.
Gleichzeitig erleben wir mit der Protagonistin die zunehmende Selbstständigkeit einer jungen Frau. Eva wird durch ihre Teilnahme an dem Prozess dazu gezwungen, sich mit der Geschichte ihrer eigenen Familie auseinanderzusetzen und entdeckt hinter der bürgerlichen Fassade Dinge, die zum Bruch mit ihrer Familie führen. Ihre Rolle als arbeitende Frau wird beständig in Frage gestellt, ihr Verlobter will, dass sie ihre Tätigkeit aufgibt, und macht sogar den Versuch, dies bei ihrem Arbeitgeber rechtlich geltend zu machen (bis 1977 durfte der Ehemann entscheiden, ob seine Frau arbeiten durfte oder nicht!), woraufhin Eva die Verlobung löst.
Sie nimmt an der Reise des Gerichts nach Auschwitz teil und eindrücklich wird geschildert, wie sehr die dort erfahrene historische Realität alle Beteiligten schockiert.
Deutsches Haus ist auf mehreren Ebenen ein sehr lesenswertes Buch und bringt in Erinnerung, wie schwer es ist, sich mit dem Thema Schuld auseinanderzusetzen, dass es selten oder nie einfache Antworten gibt, aber wie wichtig es ist, die eigene Geschichte (und die der eigenen Familie) zu kennen und sich damit auseinanderzusetzen.
Annette Hess. Deutsches Haus. Ullstein, Berlin 2019.
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