Monday, October 24, 2022

Ursula Poznanski - Cryptos

In Ursula Poznanskis Dystopie Cryptos leben nur noch wenige Menschen in der realen Welt, denn diese ist ausgesprochen unwirtlich: Das Klima ist gekippt, weite Landstriche sind verwüstet und zu heiß für Landwirtschaft und jede Form von Leben. Die Ressourcen werden immer knapper, dennoch beschäftigen sich die meisten Menschen nicht damit, denn sie leben in virtuellen Welten, in die sie sich mehr als 23 Stunden des Tages transferieren. Die Protagonistin Jana ist eine junge und sehr erfolgreiche Weltendesignerin - Probleme gibt es erst, als in einer ihrer Welten Unregelmäßigkeiten auftreten. Eine junge Frau wird ermordet, was eigentlich kein Problem ist, denn schließlich stirbt man in einer virtuellen Realität nicht wirklich - doch dann erfährt Jana, dass die Frau tatsächlich tot ist. Sie geht diesen Unregelmäßigkeiten auf die Spur und bringt sich dabei selbst in Gefahr. 

Was als eine Art Schnitzeljagd durch die verschiedenen Welten beginnt, wandelt die Autorin im letzten Drittel in eine ethisch-wissenschaftliche Diskussion, wie die Menschheit mit Ressourcenknappheit, sozialer Ungerechtigkeit und Überbevölkerung umgehen sol
lte. Wenngleich dies erzählerisch recht gut gelingt und Jana in ihren Handlungen authentisch bleibt, ist der Lösungsansatz am Ende doch etwas plump angesichts der Größe der Probleme und der Tiefe der Korruption in dem herrschenden Gesellschaftssystem. Berücksichtigt man jedoch die Zielgruppe des Romans, so funktioniert es schlussendlich doch ausreichend - dazu passt auch die etwas zu rosarote anmutende Liebesgeschichte am Ende. Hier gibt es Hoffnung auf eine bessere Welt und Hoffnung, dass sich Menschen am Ende doch für das Gute entscheiden.
Die Schilderungen der Welten und Janas schlagfertige und selbstironische Art und Weise auf ihren Reisen zurechtzukommen hat mir gefallen. Wenngleich Idee und Setting natürlich nicht neu sind (Ready Player One u.a.), so hat Poznanski mit Cryptos eine lesenswerte Dystopie mit aktueller Relevanz geschaffen.

Ursula Poznanski, Cryptos. Hörverlag 2020.

Friday, October 21, 2022

Emily Bronte - Sturmhöhe

Wuthering Heights - Sturmhöhe - Emily Brontes einziger Roman von 1847, der es mehrfach in die Listen der besten Romane aller Zeiten schafft, ein Klassiker der romantischen Literatur...

Vorweg: Die Lesung von Gerd Westphal (selbst ein "Klassiker" in der deutschen Hörspiellandschaft, 1920-2002) war sehr gut und fesselnd, auch die Passagen mit Nelly als Erzählerin funktionierten trotz der männlichen Stimme.
Den Inhalt kann jeder bei Wikipedia oder anderswo nachlesen - besonders der englische Artikel gibt außerdem einige interessante Denkanstöße. Trotz rudimentärem Wissen über den Roman war ich doch an vielen Stellen überrascht von den Charakteren und ihrer radikalen Gefühlswelt. Besonders die Schilderung von Eifersucht, Hass und Rachegefühlen erschien mir außergewöhnlich, die Impulsivität und Rohheit, mit der diese ausgelebt werden, war teilweise fast abstoßend. Die Protagonisten blieben mir in ihrer Sicht auf die Welt fremd, allein die Erzählerin Nelly war weitgehend sympathisch. Nichtsdestotrotz sind es unfassbar starke Charaktere die Emily Bronte erschaffen hat, das Setting und die Atmosphäre fesseln, wenngleich es der Plot nicht immer tut.
Ich habe insgesamt eine hohe Meinung von dem Roman, auch wenn es keine erheiternde Wohlfühllektüre, sondern eher ein bedrückendes Werk ist.

Emily Bronte, Sturmhöhe. DAV 2000.

Tuesday, October 11, 2022

Katrine Engberg - Glasflügel

In Glasflügel lässt Katrine Engberg zum dritten Mal das Team Koerner und Werner in Kopenhagen ermitteln. Das heißt, Werner soll eigentlich nicht ermitteln, sondern sich in ihre neue Mutterrolle einfinden, was ihr natürlich nicht gelingt. Denn schon als sie von dem ersten Mordopfer, das nackt in einem Brunnen aufgefunden wird, erfährt, hält sie es kaum aus, stillend zu Hause zu sitzen. Als weitere Tote aufgefunden werden, stellt sich heraus, dass alle Opfer einmal in einem Heim für psychisch kranke Jugendliche gearbeitet haben. Koerner stößt auf viele Rätsel und Ungereimtheiten und muss unter hohem Druck ermitteln, während Werner ihre eigenen Wege geht, um der Lösung auf die Spur zu kommen.

 

Neben den Ermittlern kommt auch wieder Esther mit ihren ganz eigenen Problemen zu Wort, sie ist niedergeschlagen, vielleicht sogar depressiv, bis ein neuer Nachbar wieder Bewegung in ihr Leben bringt. Während ihre psychische Gesundheit sich sozusagen von allein wieder bessert, ist dies bei den Jugendlichen mit Schizophrenie, Depressionen oder Essstörungen nicht der Fall. Denn auch in Dänemark lässt die Betreuung von psychisch Kranken zu wünschen übrig: Es fehlt an qualifiziertem Personal, die Gefahr durch Medikamentenmissbrauch ist groß und die Gefahr, dass hier kranke Menschen durchs Raster fallen, hoch. Kommt dann auch noch die Gier nach Geld und beruflichem Status hinzu, entsteht eine äußerst problematische Mischung...

Engberg greift ein nicht ganz einfaches Thema auf und beleuchtet es aus unterschiedlichen Perspektiven: Historisch, philosophisch, von innen und von außen. Gleichzeitig strickt sie einen spannenden Plot, entwickelt ihre beiden Protagonisten weiter und gibt auch den übrigen Charakteren Tiefe, indem sie ihre Beweggründe beleuchtet.

Meines Erachtens ist Glasflügel ein sehr gelungener dritter Band der Reihe, so dass man auf die nächsten gespannt sein kann. 

Katrine Engberg, Glasflügel. DAV 2020.

Marc-Uwe Kling - Die Känguru-Chroniken

Marc-Uwe Klings Känguru-Geschichten haben eine große Fangemeinde. Humoristisches ist nicht mein bevorzugtes Genre, deswegen hatte ich es mit dem Känguru trotz zahlreicher Erwähnungen im Bekanntenkreis noch nicht aufgenommen.

Anderen Rezensenten zufolge war das Audiobook, in diesem Fall ein Live-Mitschnitt, die richtige Wahl. Und in der Tat, das Geplänkel zwischen Autor und Beuteltier erwies sich als recht unterhaltsam, wobei ich etwa nach der Hälfte dachte, dass sich dann doch einiges wiederholt und man nicht unbedingt fast fünf Stunden damit zu bringen muss, ich habe es aber dann doch zuende gehört. Bei einigen Highlights musste ich laut lachen, die Qualität der einzelnen Kapitel ist aber durchaus schwankend. Aber insgesamt waren Die Känguru-Chroniken recht unterhaltsam.

Marc-Uwe Kling, Die Känguru-Chroniken. HörbuchHamburg 2012.




Monday, October 10, 2022

Hakan Nesser - Schach unter dem Vulkan

Natürlich weiß man als routinierter Leser von Hakan Nesser, dass man bei seinen Romanen keine klassischen Krimis mehr erwarten kann. Auch wenn Barbarotti Kriminalkommissar ist, so bietet das Setting nunmehr den Raum für seine zwischenmenschlichen Beobachtungen und philosophischen Überlegungen. Oft funktioniert das gut, denn der Kriminalfall hält eine gewisse Lesespannung aufrecht.

In Schach unter dem Vulkan hingegen, dem siebten Barbarotti-Fall, fragt man sich ständig, ob denn auch bald mal etwas passiert. Schriftsteller verschwinden, nachdem ihnen Nesser etwas Raum zu Selbstdarstellung gegeben hat. Nur kurz gesagt: Es sind allesamt keine Sympathieträger. Dazwischen liegen Monate und die Schilderung der Ermittlungen ist fast gähnend langweilig. Selbst die Dialoge zwischen Barbarotti und Backman, seiner Kollegin und Lebensgefährtin, sind wenig unterhaltend. Nebenbei wird auch noch erzählt, wie Corona das Leben überall zum Stillstand bringt, vielleicht ein gewagter Parallelismus zur Handlung?
Das ganze findet durch das zufällige Auftauchen einer Leiche dann endlich einen Abschluss. Einen wenig originellen Abschluss muss man noch dazu sagen.

Allein die vertraute Lesung durch Dietmar Bär gab diesem Roman noch etwas Positives, insgesamt war es aber eines der schwächsten Bücher von Nesser, die ich gelesen habe - und das waren nicht wenige. 

Hakan Nesser, Schach unter dem Vulkan. Hörverlag 2021.

Sunday, October 09, 2022

Darcie Little Badger - Elatsoe

Elatsoe von Darcie Little Badger ist einer jener Zufallsfunde, die ich ohne die Popsugar Reading Challenge nie gemacht hätte: „A book with a character from the ACE spectrum". Ohne die Listen, die von der Popsugar Gruppe bei Goodreads zusammengestellt werden, wäre ich dabei total ratlos sitzen geblieben. Vielleicht auch, weil hierzulande wenig(er) auf diese Dinge geachtet wird?
In der besagten Liste stand Elatsoe relativ weit oben und obwohl es keine deutsche Übersetzung gibt, war zumindest das amerikanische e-book problemlos zu erwerben. Dass das asexuelle Wesen der Protogonistin jetzt von so großer Relevanz für den Plot des Romans ist, wage ich anzuzweifeln.

Viel spannender finde ich den Native American Background von Ellie alias Elatsoe. In diesen fiktiven USA sind die Natives ebenso enteignet, ermordet und unterdrückt worden wie in unserer realen Welt. Doch das Glaubenssystem der Lipan Apaches im Roman wurzelt in der realen Existenz von Magie, Geisterwelt, Flüchen und Monstern. So wird das Wissen um diese Dinge in den Familien weitergegeben. Ellie trägt den gleichen Namen wie ihre sechsfache Urgroßmutter und wie sie hat sie ein Talent dafür Geister heraufzubeschwören. Allerdings ist es eine Art Gesetz, dass keine menschlichen Geister beschworen werden, weil diese unberechenbar und unbeherrschbar sind. Aber Ellie hat beispielsweise immer ihren (toten) Hund Kirby in seiner Geisterform dabei.

In den ersten Kapiteln schafft es die Autorin mühelos sowohl die sympathischen Protagonisten als auch in diese anderen USA einzuführen. Nach und nach wird das Ausmaß der magischen Welt deutlich, während gleichzeitig der Plot um Ellies ermordeten Cousin an Fahrt aufnimmt.
Besonders gefallen hat mir, dass Ellie zwar an ihre Fähigkeiten glaubt und ehrgeizig an ihnen arbeitet, aber dabei niemals ihre Familie und ihr kulturelles Erbe aus dem Blick verliert. Auch Freundschaft ist ihr wichtig und eben aus diesen Gründen wird Elatsoe nicht zu einem Superheldenepos, sondern bleibt eine emotional ansprechende und spannende Geschichte. Klar, das Vorkommen des großartigen Geisterhundes und eines Geistermammuts (!) machen schon Spaß und der Gegner, mit dem Elatsoe und ihre Familie es aufnehmen, erscheint übermächtig - weswegen man bis zum Ende mitfiebert.

Insgesamt kreiert Darcie Little Badger hier eine ganz eigenständige Welt mit guten Charakteren, witzigen Dialogen und einem spannenden Plot, während sie auch noch Raum schafft für den Natives Background hinsichtlich Kultureller Bedeutung, Ignoranz der geschichtlichen Hintergründe und heutiger Diskriminierung. Das alles in einem Debütroman so abzuliefern, finde ich bemerkenswert.

Darcie Little Badger, Elatsoe. Levine Querido 2020.

Wednesday, October 05, 2022

Justin Cronin - Der Übergang

Der Übergang von Justin Cronin beginnt vielversprechend, wenn auch nicht unfassbar originell. Ein viraler Zufallsfund lässt die Armee der USA und ihre Wissenschaftler aufhorchen - daraus lässt sich doch bestimmt eine Waffe machen?

Wie zu erwarten war, geht alles schief und die Infizierten (allesamt Straftäter, die zum Tode verurteilt wurden, also ganz liebenswerte Charaktere) mutieren auf ungünstige Weise und brechen - natürlich - aus. Sonst wäre Der Übergang ja auch keine Dystopie. Das Virus, das mental (!) übertragen wird, verbreitet sich rasend schnell. Doch halt, da ist noch die letzte Probandin, ein kleines Mädchen namens Amy, die mutiert nicht zu einem blutsaugenden tödlichen Monster, sondern überlebt mit Hilfe eines väterlich-sympathischen FBI-Agenten. Leider geht der aber bei dem nuklearen Aufräumversuch der US-amerikanischen Regierung drauf und Amy muss sich allein durchschlagen. Praktischerweise altert sie nicht und kann sich selbst heilen - leider ist sie aber eben trotzdem auch ein Kind und versteht das alles nicht so richtig... Ende des spannenden ersten Teils des Romans.

Etwa 90 Jahre später sind ganze Teile der USA nur noch von Viral-Mutanten bevölkert und Menschen leben in versprengten Kolonien und versuchen mit den Resten von Technologie und Wissen zu überleben - mit beidem ist es nicht weit her.
Was dann folgt ist eine Fülle von Charakteren, die ich beim Hören manchmal schwer auseinander halten konnte. Die häufig wechselnden Erzähler unterschieden sich nicht immer deutlich genug voneinander, wenngleich sich Cronin durchaus Mühe gegeben hat, seine Charaktere auszuarbeiten. Gut gefallen haben mir die eingestreuten Dokumente (Tagebücher, Berichte von Augenzeugen), die das Erlebte authentischer machten. 

Da sich diese Dystopie zwischen Horror und Fantasy bewegt, hatte ich manchmal Schwierigkeiten mit den drastischen Gewaltschilderungen; manchmal erwischte ich mich dabei, dann einfach wegzuhören. Das mag aber auch an den erzählerischen Längen gelegen haben, phasenweise empfand ich das ganze auch als Audiobook sehr zäh und langatmig. Natürlich kommen Amys Fähigkeiten und ihr Sonderstatus gegen Ende noch zum Tragen, das wiederum war vorhersehbar.

Andere Rezensenten kritisieren die große Ähnlichkeit (in Plot oder Thematik) mit andere Romanen des Genres. Ich habe diesbezüglich zu wenig gelesen, um mitreden zu können. Für mich hatte der Roman erzählerisch und auch von der Story her vor allem im zweiten Teil Längen und hat mich daher nicht begeistern können. Als Trilogie geplant, wird die Geschichte auch nicht abgeschlossen, sondern bleibt nach bester Cliffhanger-Manier in der Luft hängen. In diesem Fall berührt mich das wenig, da mir die Charaktere nicht ans Herz gewachsen sind und ich sie also gut allein lassen kann. 

Vielleicht ist Cronins Der Übergang dann doch eher was für überzeugte Fans von gruseligen Hardcore-Dystopien.

Justin Cronin, Der Übergang. Random House Audio 2011.

Tuesday, October 04, 2022

Agatha Christie - Der blaue Express

In Der blaue Express ermittelt Hercule Poirot im Auftrag eines amerikanischen Millionärs, dessen Tochter im blauen Express - einem Schnellzug von Calais nach Nizza - ermordet wurde. Gleichzeitig wurde ein überaus wertvolles Rubinhalsband gestohlen. Zufällig befand sich Poirot im gleichen Zug und er bietet der französischen Polizei seine Hilfe an. Erzählt wird die Geschichte aus Sicht mehrerer Zeugen und Beteiligter, allen voran die zu Geld gekommene Gesellschafterin Katherine Grey. Sie sprach am Abend des Mordes mit dem Opfer und ist eine wichtige Zeugin. Neben ihr versammelt Christie wie gewohnt eine Anzahl bunt gemischter Charaktere, die auf unterschiedliche Weise mit dem „größten Detektiv aller Zeiten“ interagieren und ihm die Puzzleteile für seine Ermittlung liefern. Als Leser hat man Verdachtsmomente, aber wie Poirot bis zum Schluss nicht alle Fakten, um den Fall zu lösen.

Immer wieder stellt sich die Frage - quasi nebenbei - nach den Beweggründen für Beziehungen, Geld und Geltungsbedürfnis scheinen viel Raum einzunehmen, wahrhaftige Zuneigung und gleichberechtigte Beziehungen eine Seltenheit zu sein. 

Insgesamt ist Der blaue Express ein typischer Poirotfall, der Fans klassischer Kriminalromane auch heute noch Freude bereiten kann. 

 Agatha Christie, Der blaue Express. Atlantik, Hamburg 2018.