Sunday, June 30, 2024

Alexandra Heminsley - Leap In

2024 ist ein Schaltjahr, a leap year. Deswegen enthält die Popsugar Reading Challenge dieses Jahr den task "A book with the word "leap" in the title". Es fand sich nichts wirklich Passendes in deutscher Übersetzung, also wurde es ein englischer Titel: Alexandra Heminsley ist eine britische Journalistin und Autorin, die zunächst das Laufen lernte (Running Like a Girl) und sich als nächstes vornahm, in offenen Gewässern zu schwimmen. Daraus resultierte das  2017 erschienene Buch Leap In - A Woman, Some Waves and the Will to Swim.
Der erste Teil des Buches ist eine autobiographische Schilderung ihrer Fortschritte beim Erwerb eines brauchbaren Schwimmstils und dem Überwinden persönlicher Schwierigkeiten. Letztere sind weniger physischer als vielmehr psychischer Natur. Ihre Schilderungen sind emotional, aber reflektieren immer wieder ihren eigenen Prozess und betonen die Wichtigkeit, das Leben zu leben und nicht nur zuzusehen, weswegen sie sich immer wieder neue Ziele setzt, auch wenn sie dabei oder gerade weil sie dabei an ihre Grenzen gehen muss.
Der zweite Teil ist eine Mischung aus einem historisch-praktischen Sachbuch über das Schwimmen, Literaturtipps und ein Ratgeber für Schwimmequipment. Dieser Teil hat mich wenig begeistern können, weswegen ich ihn stellenweise nur überflogen habe.
Insgesamt war es wieder einmal ein durchaus lohnenswertes Buch (bezogen auf Teil 1), das ich ohne die Reading Challenge sicherlich nicht gelesen hätte.

“It had taken years to accept that yes, my body had value, but that value lay more in where it could take me, what it could show me, than in any perceived visual pleasure it could provide for others.”
Alexandra Heminsley, Leap In - A Woman, Some Waves and the Will to Swim. Hutchinson, London 2017.

Nico Paech - Befreiung vom Überfluss

Nico Paechs Streitschrift Befreiung vom Überfluss ist zwar bereits 2011 erschienen, aber seine Überlegungen sind heute genauso eindringlich. Ich maße mir nicht an, alles im Detail verstanden zu haben und manche Passagen habe ich nur oberflächlich gelesen. Das Wachstum nichts ist, was in dieser Welt noch lange tragbar sein wird, ist angesichts der sich dramatisierenden Klimakrise offensichtlich. Wir leben maßlos und Paech legt den Finger darauf, dass unsere Bemühungen den Wachstum mit nachhaltigeren Technologien reinzuwaschen nur
Augenwischerei sind. Gleichzeitig Konsumwahn und Zeitmangel - die Menschen werden nicht glücklicher.
Der Autor skizziert einen Gegenentwurf, die Postwachstumsökonomie. Einige der Ideen sind vielleicht seit dem ersten Erscheinen des Buches schon präsenter, aber immer noch ist es eine Minderheit von Menschen, die genügsamer leben wollen, weniger ist mehr und macht vermutlich glücklicher. 

Dennoch glaube ich, angesichts der heutigen Lage, dass die Wachstumsgesellschaft an einem Punkt katastrophal zusammenbrechen wird, anstatt sie, wie von Paech angedacht, Schritt für Schritt in eine ökologisch und sozial verträglichere Gesellschaft zu verwandeln. Es lohnt sich aber, darüber nachzudenken, wie zumindest eine kleine persönliche Befreiung vom Überfluss aussehen könnte. 

Nico Paech, Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. oekom, München 2011.

Saturday, June 29, 2024

Marcel Proust - In Swanns Welt

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist ein siebenteiliger Roman von Marcel Proust, der zwischen 1913 und 1927 erschien. Allein der erste Teil In Swanns Welt umfasst ca. 700 Seiten. Der Ich-Erzähler erinnert sich an seine Kindheit, die er im Sommer oft in Combray, einer ländlichen Kleinstadt, verbrachte. Aus dem Klappentext:

"Der Geschmack einer Madeleine, das Licht einer Laterna Magica, der Duft der Weißdornhecke: Schlüsselerlebnisse, die im Kopf des Erzählers Marcel unwillkürlich Erinnerungen hervorrufen. Kunstfertig und detailgetreu entsteht das Panorama des alten Combray und der Stadt Paris mit ihren Salons und Bällen. Kurz: einer Zeit, die verloren und doch gegenwärtig scheint."

Detailgetreu ist sehr richtig, vieles ist eindrucksvoll, und lässt man sich darauf ein, so entstehen wirklich lebhafte Bilder im Kopf, was durch die Lesung von Peter Maric gefördert wird. Dennoch geschieht unfassbar wenig, es gibt so gut wie keine Handlung, nur Empfinden und Beobachtung. Ich habe nun ca. zwei Fünftel der 20,5 Stunden von In Swanns Welt gehört und bin mir sicher, einen guten Eindruck erlangt zu haben und verabschiede mich nun von diesem berühmten Autor - mit Hochachtung für dieses aufwändige und besondere Werk, aber ein Fan werde ich nicht. 

Marcel Proust, In Swanns Welt. Hörverlag 2007.

 

Friday, June 28, 2024

T.J. Klune - Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte

T.J. Klunes Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte war 2020 ein großer Erfolg für den Autor und fand viele begeisterte Leser:innen.
Der Protagonist Linus Baker wird von seiner Behörde - eine Art Jugendamt für Kinder mit magischen Fähigkeiten - zu einem abgelegen Waisenhaus geschickt, um die Unterbringung der Kinder und den Heimleiter Mr. Parnassus zu überprüfen. Folgsam tritt er trotz aller Unannehmlichkeiten diese Mission an und trifft auf eine Sammlung sehr verschiedener außergewöhnlicher Kinder, die ihm mit ihren Besonderheiten schnell ans Herz wachsen. Außerdem entwickeln er und Mr. Parnassus Gefühle füreinander, aber es dauert eine Weile, bis sie sich das eingestehen.
Linus' Leben ist bis zu diesem Zeitpunkt geprägt von Routinen, Freudlosigkeit und Gehorsam dem System gegenüber, auch wenn seine Gedanken dem manchmal widersprechen. Auf der Insel, auf der das Waisenhaus steht, beginnt er zu leben und zu fühlen. Diese Wandlung kann als Identitätsfindung gedeutet werden, mutet andererseits bei einem 40jährigen Beamten aber auch etwas seltsam an. Seine Wandlung angesichts der besonderen Kinder (deren Charaktere ich wiederum interessant fand) ist sehr vorhersehbar ausgestaltet und an vielen Stellen auch kitschig. Die eingeflochteten philosophischen Überlegungen oder künstlerisch wertvollen Äußerungen der Kinder wirken etwas erzwungen, zumal das unterdrückende System nicht klar definiert wird. Das Feinbild - die Andersartigen - ist klar, aber wie die Gesellschaft in dieser Situation gelangt ist, bleibt offen. Natürlich bricht der Autor eine Lanze für Diversität, stellt diese liebenswert und besonders dar. Viele Szenen haben mir gefallen, waren gut durchdacht, aber dann wirkte alles wieder so zuckersüß und für meinen Geschmack zu cozy, um die Geschichte ernstzunehmen. Vielleicht ist der Roman auch irgendwo zwischen den Genres steckengeblieben und ist weder Jugendbuch noch Erwachsenenfiktion. Insgesamt hat mir die Geschichte schon Freude bereitet, auch wenn das letzte Drittel im Grunde eine Schleife war, die ich nicht gebraucht hätte (Linus verlässt die Insel, nur um sich klarzuwerden, dass er dorthin gehört...), aber es ist ein wenig schade, dass dieses Buch - so glaube ich - soviel besser hätte sein können.

T.J. Klune, Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte. Random House Audio 2021.

Monday, June 24, 2024

George Takei - They Called Us Enemy

Die Graphic Novel They Called Us Enemy - Eine Kindheit im Internierungslager erzählt George Takeis Geschichte. Der US-amerikanische Schauspieler japanischer Abstammung (bekannt als Lieutenant Sulu aus der ersten Star Trek Serie, geboren 1937) wurde als Kind zusammen mit seiner Familie 1942-1945 gezwungen in einem Lager zu leben. Nach Pearl Harbour galten alle in den USA lebenden Amerikaner als Feinde und wurden weitgehend enteignet und inhaftiert, nachdem die USA Japan den Krieg erklärt hatten.

Eindrücklich schildert Takei mit Hilfe seiner Co-Autoren Justin Eisinger, Steven Scott sowie Zeichnerin Harmony Becker wie die Realität im Lager aussah und wie die Haltung seiner Eltern Takei beeinflusste. Deren tiefer Glaube an die Demokratie - trotz der Grausamkeiten, die ihnen durch den Staat angetan wurden - beeinflusste ihn derart, dass er trotz anfänglicher Schwierigkeiten wegen seiner Abstammung ein beliebter und einflussreicher Schauspieler und vor allem auch bis heute ein Bürgerrechts-Aktivist werden konnte.

Die weitgehend chronologische und detailreiche Erzählung wird durchbrochen von Zwischenblenden in Situationen, wo Takei aufgrund seiner Bekanntheit und seines Aktivismus auch zu politischen Veranstaltungen eingeladen wurde, sozusagen als Beispiel für einen "betroffenen Japaner". Dabei scheut Takei nicht, die Wahrheiten und Ungerechtigkeiten deutlich auszusprechen, denn es dauerte lang, bis mit dem Civil Liberties Act of 1988 endlich die Unrechtmäßigkeit der Inhaftierung der Japaner offiziell anerkannt wurde. Die Graphic Novel schafft es, dieses dunkle Kapitel der US-amerikanischen Geschichte sehr greifbar zu machen. Am Ende zeigt Takei noch auf, wie wichtig es ist, der Ausgrenzung und Anfeindung entgegenzuwirken, indem er auf die von Donald Trump 2018 veranlasste Trennung und Inhaftierung von Kindern mexikanischer Familien hinweist: Gleiches Leid, andere politische Gründe, aber auch Rassismus... So gelingt ganz nebenbei ein aktueller Kommentar und unterschwellig steht die Fragen: Was ist ein US-Amerikaner, wer darf es werden? Und wer entscheidet darüber?

George Takei (u.a.), They Called Us Enemy - Eine Kindheit im Internierungslager. Cross x Cult Ludwigsburg 2020.

Monday, June 17, 2024

Jeffery Deaver - Die Angebetete (XO)

Die Angebetete (im Original XO, 2013) ist der dritte Band Jeffery Deavers um Kinesikexpertin und Ermittlerin Kathryn Dance. Begründet in ihrem langjährigen Musikinteresse pflegt Dance eine Freundschaft mit der Sängerin Kayleigh Towne. Sie trifft sie vor einem ihrer großen Konzerte, stellt aber sofort fest, dass Kayleigh sehr beunruhigt ist. Ein Fan namens Edwin Sharp verfolgt sie seit einer Weile und er denkt, ihr neuester Song "Your Shadow" wäre nur für ihn geschrieben worden. Als ein Mord im Umfeld der Sängerin geschieht und vorher die Lyrics zu genau diesem Song gespielt werden, liegt der Verdacht nahe, dass Sharp der Täter ist. Schon bald ist klar, dass es nicht bei diesem einen Mord bleiben soll. Dance nimmt - nach einigen Anlaufschwierigkeiten mit den Ermittlern vor Ort - die Verfolgung des Täters auf, ist es wirklich Sharp? 

Die Story ist ein ziemliches Verwirrspiel mit diversen Plottwists, wie das auch bei den späteren Lincoln-Rhyme-Bänden häufig der Fall ist. Einiges war offensichtlich, anderes wirkt etwas willkürlich. Rhyme und Sachs haben bei der Spurensicherung einen kurzen Gastauftritt, der etwas erzwungen ist, auch wenn die Erkenntnisse entscheidend für den weiteren Verlauf sind. Ich vermute in diesem Fall auch einige ungeschickte Kürzungen für das Audiobook, dass zu kurz für die über 550 Seiten der Printausgabe ist. Deute ich einige der Rezensionen aber richtig, so hatte das vielleicht auch etwas Gutes, denn einige Rezensenten fanden einige der Nebenschauplätze zäh. Ich dachte zwischendurch, dass die Handlung Sprünge hatte, aber so wurde es nicht langweilig. Den Showdown konnte man kommen sehen und hier fand ich die Protagonistin Kayleigh doch ausnehmend naiv. Dance selbst konnte mich nicht so sehr überzeugen wie in den vorangegangenen Bänden, ihre Stärken kamen weniger zum Tragen und einige ihre Schlussfolgerungen waren rätselhaft.

Am Ende des Audiobooks wurde ich von einem Musiktrack überrascht - Deaver hat offensichtlich ein ganzes Set an Lyrics für Kayleigh verfasst, die von Treva Blomquist tatsächlich eingesungen wurden.

 

Jeffery Deaver, Die Angebetete. Random House Audio 2012.

Saturday, June 15, 2024

Horst Evers - Die Welt ist nicht immer Freitag

In Die Welt ist nicht immer Freitag (2007) veröffentlicht Horst Evers eine Sammlung von kurzen Geschichten, die für die Berliner Textleseshow "Dr. Seltsams Frühschoppen" (gegründet 1990) entstanden. Die Sammlung ist nach Wochentagen gegliedert. Inhaltlich geht es um das Alltagserleben des Erzählers, der Arbeit im Allgemeinen vermeidet und den einfache Dinge wie Wäsche waschen, einkaufen oder auch nur Bahnfahren mit der BVG in schiere Verzweiflung stürzen können, weil er plötzlich etwas TUN muss. Das ganze trieft von Selbstironie und Sarkasmus, die Dialoge sind oft geprägt von einer akuten Inhaltslosigkeit und durch ihr Spagat zwischen philosophischem Gedanken und Klamauk muss man - manchmal wider Willen - lachen.
Die Geschichten sind etwas in die Jahre gekommen, ich kann mir gut vorstellen, dass sie auf der Bühne und vom Autor gelesen sehr witzig sind. Gelesen haben sie mich jetzt nicht so sehr begeistert. 

Horst Evers, Die Welt ist nicht immer Freitag. rororo, Reinbek 2007.

Tuesday, June 11, 2024

Charlotte Wood - Ein Wochenende

Nach dem Tod ihrer gemeinsamen Freundin Sylvie treffen sich Jude, Wendy und Adele in deren Strandhaus, um es auszuräumen. Normalerweise trafen sie sich an dem Weihnachtswochenende dort immer zu viert, nun werden die alten Rituale in Frage gestellt, weil ihre Freundschaft ohne Sylvie auseinanderzubrechen droht. Wendy hat noch ihren uralten taub-blinden Hund Finn dabei, der wegen seiner Inkontinenz und seines Gestanks nicht ins Haus soll.  

Die Frauen blicken mit ihren über 70 Jahren auf eine Fülle von Erinnerungen zurück, jede für sich steckt in einer persönlichen Krise und hat mit den Beschwerlichkeiten und Gebrechen des Alters zu kämpfen. Wie ein Geist schwebt die Erinnerung an Sylvie über ihnen, aber was erst wie ein hoffnungsloser Kampf um ihre Freundschaft aussieht, gelingt ihnen schließlich doch, als einige lang verborgene Wahrheiten ausgesprochen und verarbeitet werden. Dennoch muss jede für sich auch für das eigene Leben neue Hoffnung schöpfen, was ein teils schwerer und schmerzhafter Prozess ist. 

Mir hat Ein Wochenende von Charlotte Wood durchaus gefallen, die drei Frauen wirken glaubhaft und real in ihren Befindlichkeiten, wenngleich in ihnen auch einige Klischees zum Tragen kommen, wie die alternde Schauspielerin, die missachtete Intellektuelle und die ewige Geliebte. Die Freundschaft der drei wirkt zerbrechlich und in vielen Momenten fragt man sich, ob es tatsächlich Freundschaft ist. Doch irgendwie finden die drei zu sich und zueinander, während der halbtote Hund als Metapher drohend zwischen ihnen steht. Die Botschaft, die daraus zu ziehen ist, mag sein, dass man das Leben leben muss, authentisch und ehrlich zu sich und anderen sein soll, um keine Chancen zu verpassen und möglichst wenig zu bereuen, wenn sich die Lebenszeit dem Ende entgegen neigt. Dem ist nicht zu widersprechen.  

Charlotte Wood, Ein Wochenende. Kein & Aber, Zürich 2020.

Monday, June 10, 2024

Susanne Abel - Stay away from Gretchen

Zunächst ist Tom Monderath, ein bekannter Kölner Nachrichtenmoderator, schwer genervt, als seine 84-jährige Mutter Greta immer mehr seine Aufmerksamkeit benötigt. Sie vergisst Dinge und verliert auf einer Autofahrt die Orientierung. Ihr Verhältnis war noch nie einfach und als Greta nun im Zuge ihrer beginnenden Demenz mehr aus ihrer Vergangenheit erzählt, ist vieles davon neu für Tom und weckt sein Interesse. In Rückblenden erfahren wir von Gretas Kindheit in Ostpreußen, ihrer Flucht nach Heidelberg gegen Kriegsende und von der Not der Familie in den ersten Nachkriegsjahren, als der Vater noch in Russland verschollen ist. Greta ist ein selbstbewusstes Mädchen und trägt mit Schwarzmarkthandel wesentlich zum Überleben ihrer Familie bei.
Tom entdeckt schließlich in den Unterlagen seiner Mutter ein Foto, das ein kleines dunkelhäutiges Mädchen zeigt. Greta will zunächst nichts sagen, spricht dann aber doch vom "Mariele", das Ergebnis ihrer "unmöglichen Liebe" zu einem afroamerikanischen Soldaten. Tom ist schockiert darüber, was er alles nicht über die Vergangenheit seiner Mutter weiß, aber da ihr Gedächtnis so trügerisch ist, beginnt er mit Hilfe einer Kollegin zu recherchieren und findet eine Menge Schockierendes heraus - über den Rassimus im Nachkriegsdeutschland und den Umgang mit den "brown babies", zu denen seine Halbschwester gehörte. Was ist aus dem Vater und Marie geworden? 

Susanne Abel entwickelt in Stay away from Gretchen ausgehend von der sich selbst verlierenden  und sich zugleich erinnernden Greta eine emotional anrührende Familiengeschichte. Während das Kind Greta sich für die Hitlerjugend und den Führer begeistern kann, wird schon bald die Gespaltenheit ihrer Familie deutlich. Doch der von den Nationalsozialisten überzeugte Vater wird zum Krieg eingezogen, bevor sich der Konflikt mit dem Großvater mit dem SPD-Parteibuch zuspitzen kann. Greta muss Stärke und Ausdauer entwickeln, um die schweren Zeiten zu überleben. Und sie entscheidet sich schließlich bewusst für die Beziehung zu dem afroamerikanischen Bob. Die Autorin greift damit einen nur wenig beleuchteten Aspekt der deutschen Nachkriegsgeschichte auf, reißt allerdings das Thema der Rolle der Afroamerikaner in der US-Armee und deren Einfluss auf die Civil Rights Bewegung in den USA nur an. Während Gretas Leiden daran, dass ihr das Kind weggenommen wurde, sehr präsent und emotional erlebbar wird - sowohl für Tom als auch für den Lesenden - bleiben die genauen gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge vage. Verglichen mit Greta, der jetzigen und der damaligen, bleibt Tom eher unnahbar, in manchen Situationen sogar unsympathisch. Er hat trotz seines Berufs einen eher sehr eingeschränkten Blick auf die Menschen um ihn herum, ist oft durchweg unhöflich und es fehlt ihm schlicht an Empathie. Es wirkt oft so, als müsse er sich zwingen, nett zu sein - meistens aber dann, wenn er bei der Person noch etwas erreichen möchte. Er durchläuft zwar eine Entwicklung im Zuge seiner Entdeckungen, aber die Erklärung, seine verkrampfte, unsensible und unreflektierte Persönlichkeit würde durch das unverarbeitete Trauma seiner Mutter verursacht, missfällt mir und ist zu simpel. Überhaupt scheint es, als würde Susanne Abel im letzten Drittel des Romans Abkürzungen nehmen, um dem Roman zu einem runden Abschluss zu bringen. Plötzlich zeigen sich positive Ergebnisse der Recherchen und die Zusammenführung der Familie gelingt überraschend, wenngleich sie durch Gretas Krankheit getrübt ist. Es bleiben Fragen offen (vielleicht war der Folgeroman bereits geplant?) und die letzten Kapitel sind sehr emotional. Toms charakterliche Wandlung wirkte auf mich in diesem letzten Teil zu forciert, aber gern hätte ich Bob und Grace noch besser kennengelernt. Besonders in Erinnerung bleibt mir der meines Erachtens recht gelungene Bezug von Gretas Fluchtgeschichte zur Flüchtlingskrise 2015/16, der erzählerisch gut verknüpft wird.
Insgesamt hat mich Stay away from Gretchen trotz der Kritikpunkte berührt, sowohl die Protagonistin als auch die geschichtlichen Zusammenhänge haben mich in ihren Bann geschlagen, so dass ich den Roman in kurzer Zeit zuende gehört habe. 

Susanne Abel, Stay away from Gretchen. Eine unmögliche Liebe. Hörbuch Hamburg 2022.

Friday, June 07, 2024

Erin Sterling - Ex Hex

Mit Ex Hex von Erin Sterling habe ich wieder einmal außerhalb meiner Genre-Vorlieben gewildert. Der Popsugar Reading Challenge Auftrag lautete "second-chance romance"... Dass es darin um Hexen und Magie geht, gab neben der Tatsache, dass die Onleihe es zur Verfügung stellen konnte, den Ausschlag. Der Plot in Kürze: Als junge Hexe verliebt sich Vivienne Jones Hals über Kopf in den gut aussehenden Hexer Rhys Penhallow, der ihr natürlich das Herz bricht, und daraufhin verflucht sie ihn. Neun Jahre später taucht er wieder in ihrer Heimatstadt auf, wo sie inzwischen Uni-Dozentin ist, es stellt sich heraus, dass er sie ebenso wenig vergessen hat wie sie ihn. Aber da ist noch der Fluch, der die Stadt und ihre Einwohner gleich mitbedroht, warum, erfährt man irgendwie nicht. Was folgt ist eine Mischung aus mich nicht ansprechenden (Sex-... äh...) romantischen Szenen und einem eher mauen Plot um die Aufhebung des Fluchs. Am Ende natürlich alles happy.
Der Punkt der Challenge ist erledigt, Genre-Abneigungen mangels schlechter Qualität von Plot, Charakteren und Stil, bestätigt. Keine Leseempfehlung. 

Erin Sterling, Ex Hex. Random House 2023.

Saturday, June 01, 2024

Val McDermid - Das Grab im Moor

Bei einer ihrer Recherchen zu einem Cold Case reist Karen Pirie nach Schottland. Während sie dort ist, wird sie an den Schauplatz eines anderen Verbrechens gerufen, denn eine junge Amerikanerin auf "Schatzsuche" ist auf eine Leiche im Moor gestoßen! Eigentlich wollte diese dort nur zwei vergrabene Motorräder aus dem Jahr 1944 ausgraben, doch zwischen den Fahrzeugen liegt eine männliche Leiche. Erstaunlicherweise stammt diese aber aus dem Jahr 1995, wie seine Turnschuhe beweisen. Er ist erschossen worden und fällt damit in Karens Zuständigkeit.
Leider kann sie nicht friedlich ermitteln, sondern sie hat von ihrer neuen Vorgesetzten einen neuen Mitarbeiter vor die Nase gesetzt bekommen und der nervt sie gewaltig. Außerdem wird sie unfreiwillig auch wieder in einen aktuellen Fall hineingezogen, so dass das übliche Durcheinander verschiedener Fälle entsteht. Dennoch wird sauber ermittelt und ganz langsam setzt sich das Bild der Ereignisse von 1944 bis heute zusammen. Einige Rückblenden zu den Geschehnissen damals runden den fünften Fall der Reihe, Das Grab im Moor, von Val McDermid erzählerisch ab. 

Val McDermid, Das Grab im Moor. Saga 2018.